Entrückte Tage in den Sarntaler Alpen

Der Eintritt in das kleine Hochtal erinnerte mich an ein Jugendbuch, welches mich damals sehr beeindruckte. Der Titel war : Die Höhlenkinder“, ein Klassiker von Alois Theodor Sonnleitner.

Die Atmosphäre entsprach genau meinem damaligen Bild von der Entrücktheit der Bergwelt, in der die Kinder ohne Kontakt zur Außenwelt aufwuchsen. Ich war verzaubert!

 

Doch von vorne:

Jedes Jahr gehe ich einige Tage auf Wandertour in den Bergen. Ich übernachte gerne in Berghütten, genieße die Einfachheit des Lebens, wo ich nichts anderes tun brauche, als mir unbekannte Landschaft zu erwandern, gut essen und den Anblick der Berge vom Bett aus zu genießen. Die Abende und Morgen oben am Berg sind für mich etwas ganz Besonderes. Einen schöneren Urlaub kann ich mir gar nicht vorstellen.

 

Diesen Sommer habe ich Begleitung bekommen von Alix von Melle ( bekannt als Deutschlands beste Höhenbergsteigerin mit mehreren Achttausendern im Gepäck); wir wollten eigentlich eine andere Gegend erkunden, doch die unbeständige Wetterlage in den Nordalpen vertrieb uns hinter den Brenner ins Sarntal. Die Sarntaler Alpen sind nicht so stark frequentiert wie die Dolomiten beispielsweise, die Berge sind etwas abweisend, die Landschaft rau. Es gibt eine klassische Wanderroute, das Sarntaler Hufeisen. Teile davon haben wir begangen. Unsere Route war individuell und noch abgelegener!

 

In einem winzigen Örtchen namens Schalders starteten wir nach verwirrender Parkplatzsuche bei Sonnenschein und etwas später als gedacht.

 

Der Schweiß stand uns bald auf der Stirn. Es ging gleich bergauf. 1300 Höhenmeter aufwärts standen auf dem Programm. Diese Vorstellung bohrte sich in meinen Kopf, ebenso wie die Vorstellung, mich vor Alix als Extrembergsteigerin zu blamieren, falls ich nicht mithalten konnte.

 

Meine Kondition war irgendwo jenseits des Brenners geblieben. Oh mein Gott! Auch noch ein Verhauer! Das fing ja gut an! Peinlich ohne Ende! Doch Alix war ganz entspannt und wollte gerne noch langsamer laufen mit mir. Wir fanden wieder auf den richtigen Weg, , schossen Bilder und ließen allmählich den Alltag hinter uns. Auf der Kaserscharte war das erste Zwischenziel erreicht. Ein kleiner Riegel und ein Schluck aus der Flasche. Der Griff zur Jacke, denn es war inzwischen stark bewölkt mit unangenehmem Wind. Wir wandten uns ab vom Aufstieg und schauten in das kleine Hochtal. Es war sehr einsam. Mit jedem Schritt bergab tauchten wir weiter ein in die mystische Stimmung der Sarntaler Alpen. Weg vom Auto und vom hektischen Alltag.

 

Im Talgrund dann dieses Gefühl von dem Buch der Höhlenkinder. Ein wenig unheimlich. Eine Alpe stand dort, aber niemand wohnte darin. Ein kleiner Bach und viel Grün. Ganz viel Grün. Es ging wieder bergauf. Eine wilde Klamm durchschnitt das Gelände links vom Weg. Herrlich. Eine kurze Rast in einem Meer voller Alpenrosen. Grauer Himmel, rosa Blumen und ganz viel Grün. Kein Mensch weit und breit. Wir unterhielten uns rege, allein als zwei pinkfarbige Punkte im Gelände. Sonst nur Tosen vom Flaggerbach.Das Gelände öffnete sich zu einem kleinen Kessel, hinter dem man die Hütte vermuten konnte.

 

Es wurde felsiger und ich war wieder in meinem gewohnten Tritt. Die frische Luft tat gut und so waren wir bald auf einer Kuppe, nicht weit weg von der Flaggerschartenhütte. Ein paar wenige Schafe schauten uns ruhig an. Pünktlich auf der Terrasse setzte der Regen ein. Jawoll. Schade zwar, aber wenigstens blieben wir trocken.

 

Eine sehr kleine Hütte, schön altmodisch. Ein junger Wirt namens Mauro im Kletterlook. Schlafplätze im Lager unter dem Dach, viel Platz für uns und zwei nette junge Wanderer aus Deutschland. In der warmen Gaststube machten wir es uns gemütlich. Reflektierten den Tag, erwarteten hungrig das Essen ( Nudeln mit Tomatensauce, gut!) und überredeten Mauro, uns zur Feier des Tages den Weißwein doch ausnahmsweise mal in zwei Weingläsern zu servieren ;)

 

Der nächste Morgen verhieß leider kein Bilderbuchwetter. Der Himmel war grau in verschiedenen Nuancen und der Wind kräuselte das Wasser des kleinen Sees an der Hütte. Loslaufen, aufsteigen. Noch trocken. Direkt zum ersten Gipfel,  Jakobsspitze. Alle anderen Gäste der Hütte liefen in die entgegengesetzte Richtung.

 

Wenn ich eines liebe in den Bergen, sind es Grate. Grate aller Arten. Laufen und zu beiden Seiten hinunterschauen. Am liebsten felsig und mit leichter Kraxelei wie hier. Die Jakobsspitze war ganz nach meinem Geschmack. Schöne Grate. Tolle Bilder. Auch von uns! Wir waren im Fotofieber.

 

Und die Sonne ließ sich auch mal blicken. Idyllische Landschaft am Hufeisenweg. Zwei Menschen kamen auf uns zu, grüßten lautlos, liefen vorbei, das wars auch schon für den Tag an Begegnungen. Wir sprachen mit uns und den Bergen, und den paar Kühen am Weg. Der nächste Gipfel rückte näher, das Schrotthorn. Leicht erkennbar an dem überraschend hohen Kreuz, mit dem es schon während unseres Aufstieges am vorherigen Tag auf sich aufmerksam machte. Ich bin wichtig, besuche mich, von mir hast Du die beste Aussicht, schien es zu rufen. Kurz vor dem Kreuz dann Himmelsverdunklung und Regeneinsatz. TäTä! Nix mit Aussicht genießen.

Grauer Regenschleier hüllte die Landschaft ein, machte sie unsichtbar. Wenigstens ein Foto mit dem Handy, das unzuverlässige Kreuz verewigen mit mir davor, als kleine rote Figur. Arm heben, winken, das kommt besser raus im Nebel! Im Galopp über Steine aller Größen nach unten. Möglicherweise käme ja noch ein Gewitter. Die Landschaft war trotzdem wunderschön. So viele helle graue Felsgipfel, die das vielfältige Grün krönten, keine Straßen, nur unser kleiner Weg, der uns wieder etwas bergauf führte. Nach und nach wurde es wieder heller. Die Sonne grüßte. Hinter einer Bergflanke riß der Nebel auf und zeigte blauen Himmel und am Horizont die Dolomiten. Wow!

 

Und vor uns auf der Anhöhe die höchste Wallfahrtskirche Südtirols, am Latzfonser Kreuz. Das rote Dach leuchtete fröhlich und einladend. Die Schutzhütte steht etwas oberhalb. Ein schöner Ort.

 

Man begrüßte uns herzlich. Nach dem Beziehen des kleinen, einfachen Zimmers zog es uns nach draußen mit Cappuccino und leckerem Kuchen. Doch der kalte Wind drängte uns später doch nach innen, in einen kleinen getäfelten Nebenraum. Handgemachte Musik aus der Gaststube nebenan machte uns neugierig und so erlebten wir sogar spontane Hausmusik mit der Harmonika.

 

 

Ganz fasziniert lauschten wir und fanden es einfach wunderbar, hier zu sitzen. Das darauf folgende Abendessen in kleiner Gemeinschaft ließ wirklich keine Wünsche offen, wir bekamen sogar auf unseren Wunsch die Knödel von der Tageskarte, einfach genial und superlecker. Wir genossen unsere Tour in vollen Zügen und freuten uns schon auf den nächsten Tag.

 

 

 

Morgens konnten wir dann Fotos in der Sonne machen. Der Ausblick vom Latzfonser Kreuz ist wirklich atemberaubend und ein guter Grund, daß man hier die Wallfahrtskirche gebaut hat.

 

 

Da wir vorhatten, mittags hier wieder vorbeizukommen, ließen wir unser Hüttengepäck dort und wanderten mit leichterem Rucksack auf die Kassianspitze und weiter in weitem Bogen über das Plankenhorn, am winzigen Getrumsee vorbei zurück zur Hütte. Der Gratweg zum Plankenhorn hatte mir wieder am besten gefallen, und Alix war auch ganz hin und weg. Wir waren uns einig: es war eine gute Entscheidung, dieses Gebirge zu wählen! Auf dem Weg zur Lücklscharte begegneten uns auffällig viele Menschen. Sie kamen vermutlich alle aus der Richtung Rittner Horn. Wir waren froh, „unsere“ Variante gewählt zu haben, mit all den intensiven Eindrücken der Natur um uns herum. Nach einer kleinen Mittagpause an der Hütte brachen wir zu unserem Rückweg auf.

 

Wir wählten den Pilgerweg zur Saltner Hütte. Auch hier niemand daheim. Rote Geranien schmückten jedoch das Haus.Die Abwesenheit der Menschen war allgegenwärtig. Es ging durch weitläufiges Almgelände mit absolutem Panoramatraumblick zu den Rosengarten-Dolomiten hinauf zur Lorenzischarte. Einsam grüne Landschaft blickte uns an.

 

Ein Hof inmitten von Tannenwald bis hinauf Richtung Gipfel. Ein sehr tiefes Tal. Auf mittlerer Höhe vermuteten wir unseren Ausgangsort. Der kleine Weg schlängelte sich durch den Bergwald. Die Sonne machte alles lebendig. Hellgraue Flechten verliehen den Nadelbäumen ein mystisches Aussehen. Ein Märchenwald!Im tiefsten Grund trafen wir auf eine Kreuzung. Dem Gefühl und auch der Karte nach wählten wir einen kleinen Pfad, von dem wir vermuteten, daß er uns in die gewünschte Richtung bringen würde.

Treffer! Ein Hof mit einer kleinen Kapelle und dem Wegende, das traf alles zu. Am Stacheldraht entlang tasteten wir uns die steile Bergwiese hinauf zu dem Hof, an dem wir in der Nähe geparkt hatten. Es war irgendwie seltsam, wieder zu diesem großen Haus hinaufzusteigen, wie hinauftauchen aus dem Wasser. Es war genauso sonnig, wie an dem Tag an dem wir aufbrachen. Das Auto stand noch da. Wir kleideten uns um und ich startete den Motor. Ein letzter Blick zurück. Tage, die man nie vergißt.

Zuhause erinnerte ich mich an das Jugendbuch. Wikipedia schreibt: „Aus den geographischen, geologischen  sowie astronomischen Andeutungen (im Winter geht die Sonne über dem Monte Cristallo auf)lässt sich schließen, dass Sonnleitner seinen „Heimlichen Grund“ in den Sarnatler Alpen gedacht hat.“

 

Na sowas.

 

Außer Alix haben mich noch Weste „Zaferna“ und Jacke „Grünten light“ begleitet, sowie das Stirnband „Aggenstein“.

 

Kartenmaterial: Tabacco-Karte Sarntaler Alpen, Nr. 040 und Kompasskarte Südtirol Nr. 699

 

 

1000 Dank liebe Alix! Es waren drei herrliche Tage mit intensiven Gesprächen und gleichem Sinn für das Schöne dieser Welt.

 

Fotos: Sabine Manteuffel, Alix von Melle