Bergmode heute, Altes und Neues verbinden.

Eine Facebook-Erinnerung an ein Posting von vor ziemlich genau einem Jahr wies mich darauf hin.

Gramais. Wer kennt diesen Ort? Ist nicht so berühmt wie Chamonix, ist auch ein Dorf in den Bergen, aber eher unbekannt. Mich zieht es dennoch immer wieder magisch an, im Gegensatz zu irgendwelchen In-Metropolen und anderen Orten, wo man angeblich mal gewesen sein muss. Diese in meinen Augen ganz besondere Ortschaft findet man im Lechtal, in Tirol. Um einige Lodenmodelle abzufotografieren, habe ich diesen Ort ausgewählt, da er mich sehr stark inspiriert. Vom Lechtal biegt man in Häselgehr ab und windet sich mit dem Auto die kurvenreiche, schmale Straße mit Lawinengalerien einige Kilometer bergauf bis auf 1321m. Die Kirche mit dem roten,spitzen Dach ist Mittelpunkt einer traumhaften Bergkulisse, die nicht zu nah ist und auch nicht zu weit weg.

 Im Gasthaus Alpenrose machten wir Station. Es begann gerade leicht zu regnen. Wir hatten es ja nicht eilig, und meine Freundin, die den Ort noch nicht kannte, und ich waren uns einig, daß wir erst mal einen Tee trinken. Es wirkt dort immer so, als ob die Zeit etwas stehengeblieben ist. Dieses Gefühl war an diesem Tag durch die Abwesenheit unbeschwerter Urlaubsgäste unter Sonnenschirmen besonders präsent. Aber überhaupt nicht negativ gemeint, ganz im Gegenteil: Die Zeit blieb nun auch für uns stehen. Handy und Termine spielten an diesem Wochentag im frühen Mai gar keine Rolle mehr, wir genossen die Stille im Gastraum und das sanfte Grau draußen mit der leicht melancholischen Bergkulisse. Ich kenne die Destination von einigen besonders einprägsamen Bergtouren. Mit meiner Mutter bin ich eigens dorthin gefahren, um im Sommer in der Abendsonne zu Abend zu essen. Meine Mutter meinte, daß sie die Berge schöner aus der Distanz findet, sie wirken dort auch sehr beeindruckend und, wie oft im Lechtal, ein wenig abweisend. Im Allgäu sind Alpweiden mit dem typischen Braunvieh bis auf bald 2000m bewirtschaftet, was immer etwas Belebteres hat, als hier die dunklen Bergwälder und einsamen Heustadel, und weiter oben dann nur noch Felsgelände. Wir beendeten das meditative Teegespräch und traten vor die Türe. Es nieselte nur mehr und da wir ja Loden fotografieren wollten, gab es keinen Grund, weiter zu warten. Wir gingen langsam durch das Dorf und bewunderten die mehrere Jahrhunderte alten Tiroler Holzhäuser auf dem Weg dorfauswärts. Man braucht in Gramais eigentlich gar keine Strecke zurücklegen, um perfekte Naturhintergründe zu finden. Wir kamen nur ein paar Meter weit, da bot sich eine Bank an mit großartigem Blick auf die Ortschaft vor den Bergen. Ich fühlte, daß das der richtige Platz war, um meine Lodenmodelle zu präsentieren. Meine Freundin fotografierte mit Elan, ich freute mich an der großartigen Kulisse und an der gemeinsamen kreativen Tätigkeit in einer Landschaft, die uns beide pushte. Es ging um dieses einzigartige Gefühl, das mich dazu inspirierte, diese ersten Lodenteile zu entwerfen und die Atmosphäre von Gramais drückte das perfekt aus. Diese Entrücktheit und Zeitlosigkeit, diese unglaubliche Ruhe, die uns aufatmen lässt, dieses Verschnaufen vom geschäftigen, stets simsenden Alltag. Zu sich selbst kommen, und spüren, was wirklich wichtig ist. Deswegen so eine schlichte Mode, die nur ein Teil anbietet, statt drei verschiedene, und lieber etwas von Wert, was nun mal 2-3 Wochen von der Bestellung bis zur Ankunft bei der Auftraggeberin erfordert und wie früher, auf ihre individuellen Bedürfnisse angepasst ist. Und Beständigkeit vermittelt. Durchaus aus der Zeit gefallen, altmodisch, aber vielleicht doch das, was mir manchmal brauchen.

 

 

 

Wir spazierten weiter, würdigten die winzige Kapelle am Wegrand. Schlichter geht es nicht mehr. Ein kleiner Heustadel war wieder wie geschaffen als Hintergrundandeutung. Ein paar alte Holzbretter , mehr brauchte es nicht. Im Weitergehen spitzte die Sonne hervor. Wir kamen etwas vom Weg ab und ich zeigte F. die rosa Soldanellen und Mehlprimeln, die als erste Blumen ihre Blüten aus dem Schnee zaubern, noch bevor er ganz geschmolzen ist. Der Winter hatte sich gerade erst etwas zurückgezogen. Das Gras war noch hellbraun und plattgedrückt, doch warm von der Sonne, die rasch Erwärmung brachte. An der Alpenrose zurück, planten wir erst mal eine zünftige Mittagsjause. Es war wirklich wie im Urlaub, nur ein eineinviertel Stunde von daheim entfernt, während unsere Kollegen arbeiteten. Wir hatten aber gar kein schlechtes Gewissen ;) Wir arbeiteten ja auch, nur fühlte es sich anders an.

 

Wir packten dann ein und verließen das Tal mit inspirierenden Gedanken, begeistert und gesprächig, mit schönen Fotos und Ideen für die Zukunft im Gepäck. Es ist mir ein Bedürfnis, mir immer wieder solche Ruhepunkte im Alltag zu suchen, mir sie notfalls zu erobern, weil sie mich fokussieren auf das, was mir wichtig ist: Meiner Linie treu zu bleiben, Wichtiges von Unwichtigem zu scheiden, aus der Zeit zu fallen, um mal alles aus einer anderen Perspektive zu sehen. Und das Glück intensiv zu spüren. Für manche ist es das Meer oder der Wald, oder auch ein Platz in der Stadt, für mich sind es die Berge, die sind mir eine innere Heimat.

 

 

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